Himmel über Berlin

So, das war es. Der letzte offizielle Flieger hat den Flughafen Tegel Richtung Paris verlassen. Somit ist der Flughafen Tegel mit acht Jahren Verspätung nun Geschichte. Man erinnert sich: Es war eigentlich bereits im Jahre 2012 geplant, vom neuen Flughafen Berlin Brandenburg zu starten. In den Jahren danach hatte ich irgendwann aufgehört, mir die jeweils geplanten Eröffnungstermine des neuen Flughafens zu merken, da diese ja eh immer wieder verschoben wurden. Fast hätte ich so die tatsächliche Eröffnung des neuen Flughafens verpasst. Covid19 hat dafür gesorgt, dass wir uns in diesem Jahr von einigen Gewohnheiten vorübergehend oder auch für immer verabschieden mussten, da passt doch der Abschied vom Flughafen Berlin-Tegel prima in dieses Jahr. Viele Berliner nutzten die letzten Tage, sich von dem Flughafen zu verabschieden.

Auch ich drehte meine letzte Runde im Terminal A. Es ist doch nur ein Flughafen wird da der ein oder andere, gerade unter den Jüngeren der Stadtbewohner, denken. Es war mehr als ein Flughafen, das ist und war der Geschichte der Stadt geschuldet. In den Jahren der Teilung Berlins war der Flughafen Tegel das Tor zur Welt. Während man auf dem Landweg den Westteil der Stadt mit Bahn und Auto nur über die Transitstrecke verlassen konnte und so den nervigen zeitintensiven Grenzkontrollen und mit dem Auto außerdem den Geschwindigkeitsbeschränkungen und dem holprigen Asphalt der Transitstrecke ausgesetzt war, setzte man sich einfach in einen Flieger und hob ab in die Freiheit. Hierbei waren zwar die ersten 15 Minuten eines Fluges etwas ruckelig, was an der vorgegebenen Reiseflughöhe (maximal 10.000 Fuß) innerhalb der Luftkorridore lag, über die man von Berlin-West das Gebiet der damaligen Sowjetischen Besatzungszone überflog. Hatte man erst einmal den Luftkorridor passiert, stieg der Flieger auf zur Reiseflughöhe und der entspannte Teil der Reise begann. In den ersten Jahren gab es für die Berliner nur die Möglichkeit, ihre Urlaubsziele über andere deutsche Städte zu erreichen, da Direktflüge von Berlin aus in Urlaubsregionen nicht angeboten wurden. Das änderte sich, als unter anderem DAN AIR, PAN AM und die damals neugegründete Air Berlin USA sogenannte Charterflüge anboten und nun die Berliner direkt in ihre Urlaubsregionen flogen. Alle erwähnten Airlines sind ebenso Geschichte, wie nun auch der Flughafen.

Wie viele andere Reisenden schätzte ich die kurzen Wege des Flughafens Tegel. Ich empfand es immer als praktisch, dass sich dort, wo man eincheckte auch die Pass- und Sicherheitskontrolle befand und wenn man diese passierte, ließ man sich auf einen der direkt dahinter vorhandenen Plätze nieder und wartete auf sein Boarding. Kurze Wege halt. Man hatte die Möglichkeit, sich lang und intensiv direkt am Gate zu verabschieden, eben weil man von dort aus die Warteschlange des Sicherheitsbereichs im Blick hatte und genau abschätzen konnte, wann es tatsächlich erforderlich war, sich endgültig zu verabschieden, um das Boarding nicht zu verpassen. Bei der Ankunft konnte man den Ankommenden bereits zu winken und vor dem Gate durch eine Trennscheibe beobachten, wie geduldig darauf gewartet wurde, dass sich das Gepäckband in Bewegung setzte. Praktisch war es nicht möglich, sich auf dem Flughafen zu verlaufen, man umrundete ihn einfach und kam irgendwann genau da an, wo man hinwollte. Das änderte sich etwas, als der Flughafen mehr und mehr an seine Kapazitätsgrenze kam und man aus der Not heraus weitere behelfsmäßige Terminals errichtete.

Der Flughafen, der ursprünglich für ein Fluggastaufkommen von sechs Millionen ausgerichtet war, fertigte im Jahre 2019 24 Millionen Fluggäste ab und platzierte sich so, gemessen am Fluggastaufkommen, auf Position vier der größten Flughäfen Deutschlands. Über die Jahre wurde es immer enger und hektischer und durch die Vernachlässigung des Flughafens, was Renovierungs- und Restaurierungsarbeiten anging, war der Lack ab und zum Vorschein kam ein ungepflegtes Äußeres, das sicher den einen oder anderen Berlin-Besucher irritierte. In einer touristisch orientierten Stadt wie Berlin passte ein derartig veralteter Provinzflughafen nicht. So sahen es sicher die objektiven Betrachter des Flughafens Tegel, die anderen übersahen das alles. Klein, eng, praktisch, vertraut und irgendwie immer wieder schön in seiner Einzigartigkeit. Und alles funktionierte! Dafür sorgten die Mitarbeiter, das Herz und die Seele des Flughafens. Ihrer grandiosen Leistungen unter den zunehmenden erschwerten Bedingungen des erhöhten Passagieraufkommens auf engsten Raum, war es zu verdanken, dass alles lief, dass man auf Jahrzehnte unfallfreien Flugbetrieb zurückblicken kann.

Warum so viele Worte für einen Flughafen? Weil mich dieses wehmütige nostalgische Gefühl übermannte, als ich am Wochenende meine Abschiedsrunde drehte. Durch Covid19 erinnerte dieser Tage nichts mehr an die Betriebsamkeit der letzten Jahre. Die Anzeigetafel der Ankünfte und Abflüge war nicht einmal zu einem Drittel ausgefüllt, vor den Gates bildeten sich keine unübersichtlichen Schlangen, niemand kämpfte sich hektisch einen Weg durch die Menschenmassen. Dieser in die Jahre gekommene Flughafen führte einen in den letzten Jahren deutlich vor Augen, wie sich seit den siebziger Jahren die Welt und damit verbunden die Fluggewohnheiten der Menschen verändert haben, eben weil er ursprünglich für eine andere Zahl von Passagieren ausgerichtet war. Entfernungen existieren eigentlich nicht mehr, wir steigen einfach in den Flieger und überwinden mal locker nur für ein verlängertes Wochenende 2000 Kilometer in zweieinhalb Stunden und das nicht nur einmal im Jahr, sondern mehrmals und über mitunter größere Distanzen. Längst existieren in den großen Städten dieser Welt nur noch Flughäfen anderer Größenordnungen, denen allen in diesem Jahr die Passagiere fehlen, von daher, wäre der Flughafen-Tegel von der Größe her betrachtet dieser Tage wieder mehr als ausreichend. Die Welt dreht sich weiter und es wird eine Reisezeit nach Covid19 geben. Abschied und Wehmut bedeuten nicht, dass man nicht offen ist für Neues. Auf meinen ersten Abflug vom Flughafen Berlin-Brandenburg freue ich mich einfach mal schon und dem Tegel Projekt GmbH sehe ich mit Spannung entgegen. Die Baupläne sehen vor, dass das Gebäude des bisherigen Terminals A erhalten bleibt und so wird dem Flughafen ein Denkmal geschaffen, während es am Himmel über Berlin nun still wird.

 

Claudia Lekondra