Irgendwann wird die Zukunft zum Heute

Früher war alles besser... Beim Zusammentreffen mit der Generation 70plus lässt es sich oftmals nicht vermeiden, mit dieser Aussage konfrontiert zu werden. (Bevor es jetzt zu Empörungsrufen einiger von der Altersangabe her betroffenen Lesern kommt, sei an dieser Stelle der Hinweis erlaubt: Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel). Früher war alles billiger, die Menschen waren höflicher, es gab weniger Arbeitslose, weniger Kriminalität, die Menschen waren nicht so rücksichtslos, der Straßenverkehr war weder so gefährlich noch so aggressiv, es gab weniger Scheidungen, die Kindheit war sorgloser und so weiter und sofort. Nicht, dass ich kein Verständnis dafür habe, dass es nicht immer einfach ist, mit zunehmendem Alter, sich in unserer schnelllebigen technisierten Welt zurechtzufinden. Das der heutige Straßenverkehr auf einen Menschen mit Ende 70 aggressiver wirkt, als noch vor 30 Jahren, ist allein dem Umstand geschuldet, dass man nun mal mit 70 weder die Nerven noch den Überblick eines 40jährigen hat. Und natürlich verbindet jede Generation mit ihrer Jugend ein bestimmtes Lebensgefühl. Die positiven Erinnerungen bleiben im Gedächtnis, während die Negativen verblassen. Zurück bleibt die nostalgische Stimmung, die den Blick auf das Früher verklärt. Wenn man dann, die Aussage früher war alles besser mit Statistiken, beispielsweise zum Thema Arbeitslosigkeit, Armut, Verkehrstote und Kriminalität zu entkräften versucht und man in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass sich in den letzten 25 Jahren die Lebensqualität verbesserte und die Lebenserwartung erhöht hat, scheint eine Statistik als Argument bei der Generation 70plus nicht zu gelten. Wenn man vorsichtig nachfragt, ob sie wirklich der Meinung sind, dass Ihre Kindheit während des Krieges und im Nachkriegsdeutschland sorgloser gewesen sein soll, als die Kindheit des heutigen Nachwuchses, wird allen Ernstes behauptet, dass man eine sorglose Kindheit hatte. Es wird von den schönen Sommern berichtet, wie man in der Stadt barfuß auf den Straßen spielte, da so gut wie kein Verkehr herrschte und man sich frei bewegen konnte, weil man nicht hinter jeder Ecke Gefahren vermutete. Die Bombennächte im Luftschutzkeller, Hunger, Kälte, Flucht und Vertreibung scheinen tatsächlich völlig in der Nostalgie zu verblassen. Heutzutage können die Kinder tatsächlich aufgrund des Verkehrsaufkommens nicht auf den Straßen der Städte spielen und sie sind auch nicht barfuß in der Stadt unterwegs. Aber die meisten Kinder in unserem Land haben die Möglichkeit, barfuß an den einen oder anderen Stränden dieser Welt spazieren zu gehen und ihre Kindheit in all ihrer Sorglosigkeit und Unbeschwertheit zu genießen. Bezüglich der Scheidungen kann ich tatsächlich nicht mit Statistiken gegenhalten. Es gab tatsächlich früher weniger Scheidungen als heutzutage. Oftmals kam es nicht zu einer Scheidung, da seinerzeit eine Scheidung in der Gesellschaft als Makel angesehen wurde. Hinzukam, dass damals die Frauen beruflich nicht so gut gestellt waren und somit nicht in der Lage gewesen wären, bei einer Scheidung ihren eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren (und mit zwei oder drei Kindern sowieso in der Berufswelt damals nichts verloren hatten). Die Ehefrauen waren mitunter bis in die siebziger Jahre auf ihren Ehemann als Versorger angewiesen. Als scheidungswilliger Ehemann nahm man von der Idee der Scheidung Abstand, weil man sich die Unterhaltszahlung an seine geschiedene Ehefrau nicht leisten wollte oder konnte (hierzu der Hinweis, dass damals bei einer Scheidung das Schuldprinzip Anwendung fand). Und diese Situation war früher besser als heutzutage, wo man sich scheiden lässt, wenn es nicht mehr geht, anstatt sich die nächsten 30 Jahre noch aushalten zu müssen? Wirklich? Ich habe es zwischenzeitlich aufgegeben, mich zu all diesen Behauptungen zu äußern. Aber immer wieder folge ich erstaunt dieser altersbedingten verzerrten Wahrnehmung zum Früher und Heute. In solchen Momenten denke ich darüber nach, ob ich in 30 Jahren auch dasitzen und erklären werde, früher war alles besser. Okay, ist auch nicht so schlimm. Denn wenn ich in der Zukunft behaupten werde, dass früher alles besser war, spreche ich ja eigentlich von Heute. Also genieße ich die Gegenwart und freue mich auf die Zukunft, denn die wird schließlich auch irgendwann zum Heute.

 

Claudia Lekondra