Alt werden ist (k)eine Zumutung!

Das mit dem Alter ist so eine Sache. Als Kinder und Jugendliche können wir es kaum erwarten, älter zu werden. Mit 20 denkt man, mit 50 ist man alt und alles was über 50 liegt, befindet sich nicht wirklich in der Wahrnehmung. Das Altwerden an sich scheint Lichtjahre von einem entfernt. Es geht einem ja nur darum älter zu werden, um bestimmte Clubs besuchen zu können, ein Auto steuern zu dürfen und vor allem geht es einem darum, sich aus den Fängen der Erziehungsberechtigten zu befreien, was die Vorgaben im alltäglichen Leben angehen. Das Bewusstsein des Älterwerdens erreicht einen erst später. Meist steht dieses Empfinden im Zusammenhang mit den persönlichen Wünschen und Zielen den jeweiligen Lebensabschnitt betreffend. Hat man beispielsweise die Mitte dreißig erreicht und möchte heiraten und eine Familie gründen, aber es ist kein potentieller Partner hierfür in Sicht, bekommt man vielleicht dann schon mal Angst, dass man zu schnell altert. Auch wenn man in diesem Alter gefühlt noch Lichtjahre von seinen beruflichen Zielen entfernt sein sollte, überkommt einem vielleicht eine altersbedingte Unruhe und Panik. Und selbst wenn man sich mit dem persönlichen Alterungsprozess noch lange nicht beschäftigt, kommt man irgendwann an den Punkt, sich durch sein familiäres Umfeld mit dem Altwerden dann doch auseinanderzusetzen. Wenn man die altersbedingten Veränderungen, sei es körperlich oder auch die Wesensveränderungen, bei Großeltern und Eltern wahrnimmt, stimmt es einen nachdenklich. Die gesundheitlichen Einschränkungen nehmen zu und beeinflussen die  Flexibilität und Mobilität. Als ich das erste Mal ein Alterspflegeheim betrat und die an Demenz und Alzheimer erkrankten Menschen sah, war mir ganz merkwürdig zumute. Ich fragte mich, ob es unter diesen Umständen wirklich so erstrebenswert ist, alt zu werden. Und ich bin mir sicher, wenn man die Betroffenen zu einer Zeit gefragt hätte, als sie über ihr Leben noch selber bestimmen konnten, hätten sie mit Sicherheit auch auf ein paar Lebensjahre verzichtet, um sich und ihrem Umfeld diesen Lebensabschluss zu ersparen. Kürzlich habe ich einen sehr passenden Satz hierzu gelesen: Im Alterspflegeheim ist es wie nachsitzen: Die Schule ist vorbei, aber man darf nicht gehen. Das Leben ist vorbei, aber man darf nicht gehen. Die, die das Glück haben zu denen zu gehören, die sich nur mit kleineren altersbedingten körperlichen Defiziten auseinanderzusetzen haben, müssen oftmals eine Wesensveränderung hinnehmen, die von ihnen selber unbemerkt bleibt. Mit zunehmendem Alter schränkt sich der Blickwinkel auf das Umfeld ein. Kleine Dinge des Alltags werden oftmals zu wahren Herausforderungen und die Welt um sie herum wird immer kleiner. Veränderungen bedeuten Unruhe und eine Art von Unsicherheit. Sie sind dem Neuen gegenüber nicht mehr aufgeschlossen, sondern fühlen sich in der gewohnten Umgebung wohl und verlassen immer seltener das selbst erschaffene Umfeld. Ein Kreislauf, aus dem sie nicht mehr herauskommen, setzt ein und lässt ihre Welt von Jahr zu Jahr schrumpfen. Und man steht erstaunt daneben und will die Veränderungen nicht wahrhaben und fragt sich, ob es sich tatsächlich um die Menschen handelt, die früher lebensbejahend, interessiert und neugierig durchs Leben gingen.

Aber dann gibt es die Beispiele, die hoffen lassen, dass die Sache mit dem Altwerden doch ganz unterhaltsam werden kann. Dass es trotz kleineren gesundheitlichen Einschränkungen möglich ist, flexibel und mobil zu sein, indem man eben nicht verlernt, neuen Eindrücken gegenüber offen zu sein, darüber zu staunen und sich noch zu begeistern. So wie Opa! Opa ist 90 geworden und lebt nach wie vor in seiner kleinen gemütlichen Wohnung. Er kümmert sich selbständig um seinen überschaubaren Haushalt, macht täglich seine Liegestütze, geht jeden Tag spazieren und pflegt sein soziales Umfeld in der Nachbarschaft bei einer Tasse Kaffe und Frühstück beim Bäcker und dem einen oder anderen Bier im asiatischen Imbiss um die Ecke. Der alleinstehenden weiblichen Nachbarschaft seiner Generation weicht er aus, da er  keine Lust hat, sich über Krankheiten und andere Unbefindlichkeiten zu unterhalten. Hinzukommt, dass ihn ab und zu das Gefühl beschleicht, die eine oder andere Dame versuche ihm schöne Augen zu machen. Nach solcher Art Kontakten stehe ihm überhaupt nicht mehr der Sinn. Luxus Problem mit 90! Wobei ich hier den Verdacht hege, dass sich seine Meinung sofort ändern würde, wenn die Damen attraktiv, unternehmungslustig und noch in den Siebzigerin wären. Er schaut gern Reportagen, liest seine Tageszeitungen und hört mit Vergnügen Musik. Er ist somit immer im Bilde, was gerade auf dieser verrückten Welt geschieht und fühlt sich weder bedroht noch beunruhigt. Sicher kann Opa auch anstrengend sein, wenn er einen anpflaumt, weil man zum vereinbarten Zeitpunkt pünktlich zur vereinbarten Zeit erscheint und nicht ein paar Minuten vorher. Man muss ja schließlich nicht erst mit dem „Gongschlag“ erscheinen, schimpft er dann. Eine Diskussion darüber zu eröffnen, dass man pünktlich ist, wenn man mit Gongschlag zum vereinbarten Zeitpunkt erscheint, wäre überflüssig und ich bin mir nicht sicher, ob diese Betrachtungsweise der Pünktlichkeit mit seinem Alter zu tun hat oder es sich hier mehr um eine persönliche Eigenart handelt, die einem zuvor nicht aufgefallen war.
Er sprüht auch gern vor Lebensweisheiten der besonderen Art. Zum Beispiel erkundigten wir uns nach einem gemeinsamen Abend, bei dem ordentlich Alkohol geflossen war, am nächsten Tag besorgt, ob es ihm denn gut ginge, woraufhin er von sich gab: „Ja natürlich. Warum soll es mir nicht gut gehen? Ich musste ja schließlich nicht arbeiten und betrunken war ich doch nicht gewesen. Ich musste mich ja nicht übergeben“. Diese Aussage lasse ich jetzt einfach mal unkommentiert.
Letztens tanzte er auf einer Party zu Liedern, die er vermutlich noch nie gehört hatte, deren Rhythmus und Gesang ihm teilweise fremd waren,  aber er erfreute sich an den Partygästen, die um ihn herum schwirrten. Als man ihn bewundert darauf ansprach, wie toll es sei, dass er in seinem Alter noch tanzte und dann noch  zu dieser Musik, erklärte er nur kühn: „Na ich kann doch nicht den ganzen Abend herumsitzen.“ Ein Satz von ihm, der einfach dem Moment geschuldet war und über den er sicher auch nicht weiter nachgedacht hatte, denn das wäre untypisch für ihn. Für mich bringt dieser Satz seine Lebensphilosophie zum Ausdruck und  hinter dieser Philosophie verbirgt sich sein Geheimnis, wie man mit 90 noch so gut beieinander sein kann. Wie immer im Leben gehört natürlich Glück dazu, ganz klar und dann muss man mit zunehmendem Alter halt dafür sorgen, dass man nicht nur herumsitzt, sondern ab und an einfach mittanzt.

Claudia Lekondra