Wo endet eine offene Gesellschaft

Eine Predigt anlässlich einer Taufe hat mich dazu verleitet, mich zu fragen, ob unsere offene Gesellschaftsform in Deutschland in Gefahr ist. In der Predigt wurde von Abschottung des Einzelnen in unserer Gesellschaft gesprochen, von dem fehlenden Miteinander. Dass eine Gesellschaft beispielsweise nicht offen sei, wenn man nicht einmal den Namen seiner Nachbarn kenne. Ich glaube, dass uns in Deutschland die größtmögliche individuelle Freiheit bei größtmöglicher Sicherheit geboten wird. Wir leben in einer Zeit, in der viel über Haltung und Werte diskutiert wird. Durch die Digitalisierung erreichen uns immer mehr Informationen immer schneller und für jeden einzelnen von uns stellt sich dann die Frage, wie wir mit der Flut der Informationen umgehen, wie wir sie einzuordnen haben. Eine offene Gesellschaft transportiert täglich neue Impulse, die Veränderungen in unserem täglichen Leben mit sich bringen. Das Leben wird nicht unbedingt besser, weil einen alles schneller erreicht und sich alles um einen herum verändert und man sich ständig den Veränderungen versucht anzupassen. Nein, es verunsichert viele Menschen, es wirft Fragen auf, auf die es nicht immer Antworten zu geben scheint. Viele Menschen fühlen sich einfach nur überfordert und sie sehnen sich einen überschaubaren Lebensraum zurück, in dem es ihnen leichter fiel, einem Wertesystem zu folgen.

Ist unsere offene Gesellschaft in Gefahr, weil die Menschen aus Verunsicherungen sich mehr und mehr zurückziehen? Weil sie versuchen sich abzuschotten, indem sie ihrem unmittelbaren Umfeld, zum Beispiel ihren Nachbarn, den Kollegen und den Bekannten, nur noch oberflächig begegnen und sich mehr und mehr auf sich und ihre Sorgen und Ängste konzentrieren und nicht einmal mehr die Namen der Nachbarn kennen? Indem sie nur noch wahrnehmen, was sie unmittelbar betrifft und alles was über den Tellerrand hinausgeht wird ignoriert? Man versucht seine Welt wieder überschaubar zu machen, indem man es vermeidet, neue Einflüsse von außen zuzulassen und sperrt damit sein Umfeld aus? Laufen wir Gefahr, so aus unserer offenen Gesellschaft eine geschlossene Gesellschaft zu machen? Ich weiß nicht, ob die Pfarrerin in ihrer Predigt mit Ihrer These recht hat, dass der Anfang einer geschlossenen Gesellschaft darin zu finden ist, dass man den Namen seines Nachbarn nicht kennt, ich weiß nur, dass ich nicht so naiv bin, und mir bewusst ist, dass eine offene Gesellschaft auch Gefahren, Ängste und Nöte mit sich bringt und dass es immer Menschen geben wird, die mit den Ängsten der anderen versuchen werden ihre Art der Weltanschauungen, die überschaubare und eben nicht offene Sichtweise, zu vermitteln. Ich weiß auch nicht, wo genau eine offene Gesellschaft endet (ob wirklich beim Namen des Nachbarn), ich weiß nur, dass ich in einer offenen Gesellschaft leben möchte. An dieser Stelle möchte ich gern einen Satz zitieren, den ich letztens gelesen habe: Wer sich in einem dunklen Raum einschließt, der ist zwar vor Regen und Wind geschützt, aber zugleich abgeschieden von Luft und Licht. Ohne Luft und Licht möchte ich nicht leben und Regen und Wind, finde ich eigentlich nicht so schlimm.

 

Claudia Lekondra