Auf der Suche nach dem Warum habe ich ein Egal gefunden

Mit Anfang zwanzig hatte ich noch eine ideale Vorstellung von meiner Lebensführung. Ich schien mir ganz sicher in meiner moralischen Sichtweise, glaubte zu wissen, was richtig und was falsch war. Fühlte ich mich ständig dazu berufen, die Schwächeren zu unterstützen, indem ich diesen Menschen eine Stimme gab. Ich glaubte mich für alles und jeden stark machen zu müssen und die von mir empfundenen Ungerechtigkeiten ertrug ich nur schwer. Das gute am Älterwerden ist, dass man aufgrund der gesammelten Lebenserfahrung gelassener mit allem umgeht. Es regt mich nicht mehr wirklich viel auf und ich habe gelernt, mit einem gesunden Egoismus den Widrigkeiten des Alltages zu trotzen. Als ich begriff, dass der Idealismus mich meinen Zielen nicht wirklich näherbrachte, habe ich erkannt, dass Egoismus hierbei um einiges hilfreicher ist. Egoismus, dieses völlig zu Unrecht negativ behaftete Wort. Es liegt in der Natur des Menschen, egoistisch und nicht selbstlos veranlagt zu sein. Also kümmerte ich mich erst um meine eigenen Ziele, indem ich mich auf mich und meine Vorstellungen und Wünsche konzentrierte, ohne zum einen ständig auf die Befindlichkeiten anderer Rücksicht zu nehmen und zum anderen, mich nicht davon ablenken zu lassen, mich für andere stark machen zu müssen. Erst an sich zu denken bedeutetet ja nicht unweigerlich, dass einem die anderen egal sind. Es geht nicht um ein entweder ich oder die anderen, sondern um sowohl als auch. Und mal ehrlich: Hilfsbereitschaft löst doch ein gutes Gefühl in einem aus, oder? Wenn wir anderen helfen, fühlen wir uns besser. Unser scheinbar selbstloses Verhalten hat also einen egoistischen Hintergrund. Klingt nicht gut, ist aber nun mal so. Diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass sich meine moralische Sichtweise verschoben hat und ich zwischenzeitlich weit davon entfernt bin, beurteilen zu wollen, was richtig oder falsch ist. Ich suche nicht mehr nach dem Warum, sondern sorge immer erst einmal dafür, dass es mir gut geht. Und wenn es mir gut geht, kann ich etwas dazu beitragen, dass es den Menschen in meinem Umfeld gut geht und wenn es meinem Umfeld gut geht und noch Zeit bleibt, dann sehen wir weiter.

 

Claudia Lekondra