Ein schöner Moment,  ein kleines Mädchen und eine S-Bahnfahrt...

Letztens fuhr ich mal wieder S-Bahn. Ganz gegen meine Gewohnheit hatte ich an diesem Tag während der Fahrt weder ein Buch zur Hand, noch Musik im Ohr. Ich suchte mir einen Sitzplatz in einer der langen vor den Fenstern befindlichen durchgehenden Sitzbänke, so dass ich meine Zeit damit vertreiben konnte, die mir auf ebenso einer länglichen durchgehenden Bank gegenübersitzenden Fahrgäste zu beobachten. Dort saßen mehrere junge Männer im Alter zwischen Mitte zwanzig und Ende dreißig und eine ältere Dame. Während die ältere Dame freundlich in der Gegend umherschaute, waren die Herren alle mit Ihren Mobiltelefonen beschäftigt und schauten, wenn überhaupt, nur kurz auf, um, so hatte es den Anschein, zu orten, an welcher Station sie sich befanden. Neben mir bot sich das gleiche Bild; allerdings befanden sich auf meiner Seite auch weibliche Wesen, die sich mit ihren Mobiltelefonen beschäftigten.

An einer der nächsten Stationen stiegen ein Junge und ein kleines Mädchen hinzu. Das kleine Mädchen ergatterte fröhlich den letzten freien Sitzplatz zu meiner Linken und strahlte ihren Begleiter (bei dem es sich aufgrund der äußerlichen Ähnlichkeit durchaus um ihren Bruder handeln durfte) an. Wir waren nun sozusagen Sitznachbarn. Ich musterte meine neue Sitznachbarin. Sie war ungefähr vier Jahre alt, hatte schwarzes lockiges kinnlanges Haar. Sie saß auf der Sitzbank und ihre Füße baumelten in der Luft. Ihre Kleidung sah danach aus, dass sie einem Waschmaschinengang nicht abgeneigt gewesen wären und ihre Füße steckten in Badelatschen, die schon bessere Tage gesehen hatten. Auch die kleinen Füße hätten sich sicher über ein schönes Fußbad mit anschließender Pediküre gefreut.

Während ich das Mädchen amüsiert musterte, trafen sich unsere Blicke und sie schaute mich neugierig, aber freundlich mit ihren großen dunklen Augen an. Danach wanderte ihr Blick zu ihrem vermeintlichen Bruder, der an der Tür stehen geblieben war und zu ihr hinüber lächelte. Die ältere Dame schaute freundlich meine neue Sitznachbarin an, ansonsten hatte sich bezüglich der Handyaktivitäten auf der gegenüberliegenden Seite nichts verändert.

Nach einer Weile begann das kleine Mädchen leise und zaghaft vor sich hin zu singen. Es war so leise, dass ich mir zunächst nicht sicher war, ob es Einbildung war oder ich tatsächlich eine Mädchenstimme hörte. Ich schaute sie von der Seite an und sie wandte sich mir zu und erwiderte meinen Blick, wobei ich das Gefühl hatte, dass ihr zaghafter Gesang unter meinem Blick noch zaghafter wurde. Daraufhin lächelte ich sie aufmunternd an. Zögerlich erwiderte sie mein Lächeln und setzte ihren Gesang nun etwas lauter fort. Als ich sie weiterhin aufmunternd anlächelte, fasste sie ihren Mut zusammen und sang noch lauter. Sie sang in einer Sprache, die mir fremd war und ihre Stimme war dünn aber melodisch. Unter meinem Lächeln begann sie dann ebenfalls zaghaft im Takt zu klatschen und als die ältere Dame auf der gegenüberliegenden Seite sie ebenfalls anlächelte, wurde sie noch mutiger und ihr Gesang und das Klatschen noch lauter. Von den Herren auf der gegenüberliegenden Bank sah einer nach dem anderen erst kurz, ja fast irritiert suchend, von ihren Handys auf, um den Ursprung der singenden Geräuschkulisse auszumachen. Als der Ursprung des Gesanges ausgemacht war, widmeten sie sich dann alle wieder ihren Handys, um dann nach ein paar Sekunden erneut hochzuschauen. Nach und nach wurde die Kleine von den Herren von der anderen Seite mit ernster und mehr oder weniger ausdrucksloser Miene gemustert, was sie zunächst irritierte, so dass ihr Gesang und ihr Klatschen wieder zaghafter wurden.

Ihr Blick wanderte dann zunächst zu ihrem Bruder und dann zu mir. Wir lächelten ihr weiterhin aufmuntert zu, so dass ihr Gesang und ihr Klatschen an Lautstärke wieder zunahmen. Es dauerte noch eine S-Bahnstation, dann ließ ein Fahrgast nach dem anderen von seinem Handy ab und alle (auch die Fahrgäste auf meiner Seite) schauten lächelnd zu dem fröhlichen singenden und klatschenden Mädchen. Die Fahrgäste tauschten sogar untereinander amüsierte Blicke aus und lächelten sich dabei an.

Es war ein schöner Moment zu beobachten, wie die Mitmenschen sich offensichtlich nun alle wahrnahmen und davon abließen, sich mit sich und ihren Handys zu beschäftigen und ich hatte fast den Eindruck, dass sie –wenn ihnen der Text und die Melodie des Liedes bekannt gewesen wären – mitgesungen hätten. Die ältere Dame auf der gegenüberliegenden Bank begann dann, in dem von der Kleinen vorgegebenen Rhythmus mitzuklatschen und der vermeintliche Bruder tat es ihr nach.

Leider musste ich an der darauf folgenden Station den Zug verlassen. Meine Fahrt endete dort. Was blieb, war ein Lächeln auf meinem Gesicht und ein gutes Gefühl, gerade erlebt zu haben, dass wir Menschen doch noch in der Lage sind, auf einander einzugehen und uns wahrzunehmen. In der ach so schnelllebigen Zeit kurz innezuhalten und dem Gesang eines kleinen Mädchens in der S-Bahn zu lauschen und uns an deren Fröhlichkeit zu erfreuen. Eine Fröhlichkeit, die –ihrem äußeren Erscheinungsbild nach – nicht von Markengarderobe und dem damit einhergehenden Konsumüberfluss geprägt war. Sie schien so frei von all diesen Oberflächigkeiten und – in diesem Moment zumindest- glücklich.

Wenn Ihr das nächste Mal unterwegs seid, schaut von Eurem Buch oder Handys einfach mal hoch, nehmt die Musik aus dem Ohr… es lohnt sich.

 

Claudia Lekondra